UN-Bericht: Schwere Vorwürfe gegen alle Parteien im Tigray-Konflikt

Genf (epd). Ermittler der Vereinten Nationen und der Äthiopischen Menschenrechtskommission erheben schwere Vorwürfe gegen alle Parteien des Konflikts in der Region Tigray. Die verübten Straftaten umfassten möglicherweise Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, heißt es in einem am Mittwoch bei den UN in Genf veröffentlichten gemeinsamen Bericht.

Der seit einem Jahr anhaltende gewaltsame Konflikt in der äthiopischen Region habe verheerende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und falle durch eine „extreme Brutalität“ auf, betonte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. Die Verantwortlichen für die Grausamkeiten müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Bachelet appellierte an die Konfliktparteien, einen stabilen Waffenstillstand zu vereinbaren.

Die Ermittler nennen auf der einen Seite als Täter die verbündeten Armeen Äthiopiens und Eritreas, die von Milizen unterstützt werden. Auf der anderen Seite erheben sie Vorwürfe gegen die bewaffneten Einheiten, die für die - bis vor einem Jahr in Tigray regierende - Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) kämpfen. Zu den aufgelisteten Verbrechen gehören willkürliche Hinrichtungen, Folter, sexuelle Gewalt, Vertreibungen, Angriffe auf flüchtende Menschen, Verschleppungen sowie Plünderungen und Zerstörungen von Eigentum.

Die Ermittler konnten sich in Tigray ein Bild von der Lage machen. Allerdings hieß es von UN-Seite, dass der Zugang zu bestimmten Orten behindert worden sei. Zudem habe es logistische und kommunikationstechnische Probleme gegeben. Weiter wurde bei den UN immer wieder die Einbeziehung der Äthiopischen Menschenrechtskommission kritisiert, die von der Regierung in Addis Abeba gegründet wurde. Der gemeinsame Bericht der UN-Ermittler und der äthiopischen Kommission umfasst den Zeitraum von Anfang November 2020 bis Ende Juni 2021.

In den vergangenen Tagen verschärften sich die Kämpfe weiter, nachdem die TPLF offenbar mehrere Gebiete zurückeroberte. Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed hat zuletzt die Bevölkerung aufgerufen, zu den Waffen zu greifen.

Zu dem gemeinsamen Bericht der UN-Ermittler und der äthiopischen Menschenrechtskommission erklärte Abiy am Mittwoch, seine Regierung habe bei einigen Aspekten „ernsthafte Vorbehalte“. Der Bericht werde jedoch als wichtiges Dokument in den Bemühungen um Rechenschaft und Prävention gewertet. Ermutigend sei, dass die Ermittler zu dem Schluss gekommen seien, dass Anschuldigungen des Völkermords sowie des Einsatzes von Hunger als Kriegswaffe unbegründet seien, hieß es in einer auf Twitter verbreiteten Erklärung. Abiy kündigte eine ministeriumsübergreifende Taskforce zur Aufklärung und Aufarbeitung der Vorwürfe an.

Seit Anfang November 2020 kämpfen Truppen der Zentralregierung und der gestürzten Regionalregierung von Tigray um die Macht in der nordäthiopischen Region. Der Konflikt weitete sich seither auf andere Regionen aus und hat eine humanitäre Krise ausgelöst, durch die UN-Schätzungen zufolge 400.000 Menschen in Tigray im Zustand einer Hungersnot leben.