Ukraine: Bischof Kramer vermisst präzisen Umgang mit "Opferfrage"

Nürnberg (epd). Aus Sicht des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, greift es oft zu kurz, wenn Waffenlieferungen an die Ukraine mit Verweis auf das Leid der Angegriffenen begründet werden. Wenn die Ukraine um Waffen bitte, sei zunächst der Staat Opfer, sagte Kramer am Samstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg: „Der Staat braucht Waffen, um seine Integrität zu verteidigen.“ Das machten beide Kriegsparteien mit zwangsrekrutierten Soldaten, „die sich auf beiden Seiten dem Kriegsdienst nicht entziehen können“.

Der Krieg sei „logischerweise der größte Moralproduzent“, sagte der mitteldeutsche Bischof Kramer weiter, der als einer der wenigen Leitungspersonen in der EKD Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt. In kurzer Zeit werde zwischen Freund und Feind unterschieden. Der Verweis auf die Opfer sei nicht selten Kriegsrhetorik, die auf Zustimmung zum Krieg ziele. Der Theologe forderte: „Mit dieser Opferfrage müssen wir sehr differenziert und sehr präzise umgehen.“ Um den Krieg zu beenden und die Opfer wirklich zu schützen, müssten „ein sofortiger Waffenstillstand und eine Beendigung der Waffenlieferungen der Weg sein“.

Der mennonitische Theologe Fernando Enns von der Universität Hamburg beklagte die „starken nationalistischen Tendenzen“ in der Ukraine und in Russland: „Die Wahrheit wird bereits vor jedem Krieg getötet. Sonst kriegt man die Menschen einfach nicht dazu, sich gegenseitig umzubringen.“ Auch viele deutsche Kirchenleitende hielten die militärische Selbstverteidigung der Ukraine für alternativlos, kritisierte Enns. Er rief Christen dazu auf, diesem „Ruf der Schlange“, die sagt „Jetzt geht es nur noch so“, nicht zu folgen.