Sofortige Evakuierung von Ortskräften aus Afghanistan gefordert

Frankfurt a.M. (epd). Mit dem Vorrücken der Taliban auf die afghanische Hauptstadt Kabul sind in Deutschland die Forderung nach einer Evakuierung von Ortskräften lauter geworden. Politiker und Politikerinnen verschiedener Parteien äußerten sich entsetzt über die Gefahr, in der die Helferinnen und Helfer des Bundeswehreinsatzes schwebten.

„Viel zu lange hat die Bundesregierung die Augen vor der Realität verschlossen“, kritisierte die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, in der „Süddeutschen Zeitung“. Das räche sich jetzt. Die Regierung müsse nun alles unternehmen, um Leben zu retten, auch mit Hilfe der Bundeswehr. Bedroht seien neben Botschaftsangehörigen und Ortskräften auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Frauenrechtlerinnen.

Im Juni hatten die Regierungsparteien SPD, CDU und CSU einen Antrag der Grünen für eine weitreichende Aufnahme afghanischer Ortkräfte und ihrer Familienangehörigen abgelehnt. Durch die Taliban sind diese Menschen aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit westlichen Institutionen und Organisationen gefährdet.

Die Linken-Politikerin Heike Hänsel erklärte, die Bundesregierung behindere seit Juni die Ausreise afghanischer Ortskräfte durch bürokratische Hürden: „Nun verzögert sie erneut eine schnelle Evakuierung durch zivile Charterflüge und will stattdessen auf die Bundeswehr warten. Verantwortungslos!“

Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Freitag versichert, weitere Ortskräfte schnellstmöglich auszufliegen. Über die geplante Zahl der Evakuierten und den Zeitpunkt machte er jedoch keine Angaben. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums waren bis Freitag etwa 1.800 afghanische Helfer und ihre Familien in Deutschland eingetroffen. Bis dahin hatte das Auswärtige Amt 2.400 Visa ausgestellt.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), forderte unterdessen ebenfalls eine schnelle und sichere Evakuierung der Ortskräfte. „Was jetzt unmittelbar zu tun ist, ist klar: Die Bundesregierung muss jeden Menschen, gegenüber dem Deutschland eine Schutzverantwortung hat, sofort und sicher nach Deutschland bringen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Montag).

Die Bundesregierung wirke planlos, kritisierte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Es gebe Schuldzuweisungen zwischen den Ministerien. Dabei sei es sowohl „eine moralische Verpflichtung als auch im nationalen Interesse“, sich um die Ortskräfte zu kümmern, sagte er ebenfalls der „Rheinischen Post“.

Auch der CDU-Außenpolitik-Experte Ruprecht Polenz kritisierte die Bundesregierung scharf. Es sei für ihn völlig unverständlich, warum die Fürsorge für die Ortskräfte und ihre Familienangehörigen einschließlich Flug, Visa und erster Unterkunft in Deutschland „offenkundig nicht integraler Bestandteil des Rückzugsplans war“, erklärte er auf Twitter. Die letzten deutschen Soldaten hatten Afghanistan im Juni verlassen.

Die Hilfsorganisation medica mondiale forderte die Bundesregierung auf, schnelle und unbürokratische Ausreisemöglichkeiten für Frauenrechtsaktivistinnen aus Afghanistan zu schaffen. „Frauenrechtsaktivistinnen in Kabul sind in ihrem Leben bedroht und müssen evakuiert werden,  bevor die Taliban die Macht übernehmen“, erklärte die Gründerin der Organisation, Monika Hauser. Die Bundesregierung habe die Frauen in ihrem Kampf in den vergangenen 20 Jahren gefördert, weshalb sie auch eine Verantwortung für sie trage, über den Abzug der Truppen hinaus.