Roman "Menschenkette" lässt Friedensbewegung wieder aufleben

Cäcilie Kowald verarbeitet in dem Roman "Menschenkette" ihre Kindheitserinnerungen. Als Zehnjährige nahm sie an der bis dahin größten Menschenkette in Deutschland teil. Das Buch zeigt, wie unterschiedlich die Menschen zur Friedensbewegung kamen.

Karlsruhe (epd). Zeitreise in der Stadtbibliothek Karlsruhe: Die Autorin Cäcilie Kowald liest aus ihrem Roman „Menschenkette“. Darin beschreibt sie anhand der fiktiven Protagonisten Oliver, Marlene, Wilfried, Ulrike, Franzi und Ines ein besonderes Ereignis süddeutscher Geschichte: die bis dahin größte Friedenskundgebung am 22. Oktober 1983 in Deutschland.

An dem Tag protestierten mehrere Hunderttausend Menschen gegen die geplante Stationierung von Atomraketen in Süddeutschland. Mittendrin in der 108 Kilometer langen Menschenkette von Stuttgart-Vaihingen bis Neu-Ulm stand die damals zehnjährige Cäcilie Kowald mit ihrer Familie. Die friedensbewegten Eltern nahmen Kowald und deren Schwester stets mit zu den Musikveranstaltungen, bei denen Mutter und Vater für den Frieden aufspielten.

„Die Erinnerungen an diese besondere Kindheit waren Anlass für den Roman“, sagte die Autorin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Roman sei eine Art „Lebensreise“, mit der sie sich ihre Geschichte neu erschlossen habe, so Kowald. „Ich habe jetzt eine andere Wertschätzung für die Kindheitserinnerungen und empfinde Dankbarkeit für diese nicht normale Kindheit“, berichtet sie.

„Menschenkette“ ist das literarische Debüt der studierten Slawistin. Das Buch handelt zwar von dem Großereignis, lebt jedoch von den Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Motivationen und Überzeugungen. „Wer die Hoffnung aufgibt, hat schon verloren. Das gilt für Menschenketten wie für den Weltfrieden“, heißt es an einer Stelle.

Der Roman steht auf der Shortlist für den Anna-Haag-Preis Baden-Württemberg. Der Landespreis für Literatur wird seit 2023 durch den Förderkreis der SchriftstellerInnen in Baden-Württemberg verliehen. Er folgt dem „Thaddäus-Troll-Preis“ nach und ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Verleihung findet im Oktober statt.

Die Welt retten - dieses Anliegen verbindet die Friedensbewegung damals mit heutigen fridays-for-future-Demonstrationen. „Wird alles gut gehen? Bleibt der Protest friedlich?“ sind Fragen, die sich Teilnehmenden und Polizisten heute wie vor 40 Jahren gleichermaßen stellen.

Den „Klischee-Grünen“ mit langen Bärten und einer Sonnenblume in der Hand, Großfamilien mit Bollerwagen oder dem intellektuellen Inhaber der linken Buchhandlung am Ort stellt Kowald die Angst der Bewohner entlang der Menschenkette gegenüber. Fensterläden werden verschlossen aus Furcht vor den „Chaoten“.

Andere öffneten ihr Haus, um den Protestierenden eine saubere Toilette anzubieten. Wieder andere hielten sich am Glauben fest. „Öffne dich und vertraue auf Gott. Wie soll der Frieden sonst einziehen?“ lautet ihr Credo.

Die Menschenkette war ein Erfolg wider Erwarten. Nach fünf Monaten Vorbereitungszeit reihten sich die teilweise mit Sonderzügen angereisten Menschen aus ganz Deutschland und den Nachbarländern in die Menschenkette ein. „Das war ein ganz erhabenes Gefühl“, erinnert sich Sonnhild Thiel.

Sie spüre noch heute den Händedruck, sagt die Witwe des Ideengebers der Menschenkette, Uli Thiel aus Karlsruhe. Thiel schuf das Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“. Zusammen mit seiner Frau Sonnhild war er zehn Jahre lang ehrenamtlicher Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen in Baden-Württemberg.

Das Gemeinschaftsgefühl der Friedensbewegung wird auch unter den Zuhörern der Lesung wach. Die meisten waren damals dabei. „Wo bisch du damals dazokomme?“, fragt ein Besucher auf Schwäbisch nach. Andere sinnieren über die Sorgen, die sie seinerzeit beschäftigten.

Es war die Zeit vor Internet und Smartphone. „In jedem Dorf gab es eine Friedensgruppe“, erinnert sich Sonnhild Thiel. Man hörte Hannes Wader und Zupfgeigenhansel. Man wagte, zu träumen und an sein Ideal einer friedlichen Welt zu glauben. Diesen „Friedensvirus“, der anstecke, „bräuchten wir heute wieder“, ist die Friedensaktivistin Thiel überzeugt.