Protest gegen "Putins Krieg" im Bundestag und auf der Straße

Berlin, Bielefeld (epd). Der Bundestag debattiert über Konsequenzen aus dem russischen Angriff auf die Ukraine und in unmittelbare Nähe demonstrieren Hunderttausende für Frieden: Berlin hat am Sonntag ganz im Zeichen des Kriegs in der Ukraine gestanden. „Wir haben Krieg in Europa“, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zur Eröffnung der Sondersitzung des Parlaments. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte dort eine verteidigungspolitische Wende an. Er versprach mehr Geld für die Bundeswehr und warb um Unterstützung der Opposition dafür. Scholz sprach von einer „Zeitenwende“ und verurteilte „Putins Krieg“.

„Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und verteidigte damit die Entscheidung, der Ukraine nun doch Waffen zu liefern. Die Bundesregierung hatte am Samstag beschlossen, der Ukraine unter anderem 1.000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ zu schicken.

In seiner Regierungserklärung sagte Scholz, dass ein „Sondervermögen Bundeswehr“ im Bundeshaushalt 2022 einmalig mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Zudem kündigte er an, dass Deutschland von nun an jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren werde. 2021 lag der Verteidigungsetat bei rund 47 Milliarden Euro.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) sagte Scholz eine grundsätzliche Unterstützung des Kurses gegen den russischen Staatschef Wladimir Putin zu, machte aber Einschränkungen beim Sondervermögen. Das bedeute neue Schulden, sagte er. Die Linke lehnte eine Aufrüstung ab. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sagte, Deutschland solle sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen.

Auf der Besuchertribüne verfolgten Altbundespräsident Joachim Gauck und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk die Bundestagsdebatte. Melnyk wurde mit langem stehenden Applaus der überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten begrüßt. Er selbst bezeichnete die Solidaritätsbekundungen der deutschen Abgeordneten auf Twitter als „historischen Moment“.

Zeitgleich demonstrierten zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule in Berlin Hunderttausende Menschen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine, weit mehr als erwartet. Zur Demonstration aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Friedens-, Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen sowie Kirchen.

In Redebeiträgen wurde an die russische Führung appelliert, sofort die Kämpfe einzustellen und die Truppen zurückzuziehen. In Richtung Bundesregierung wurde unter anderem gefordert, die Grenzen für Flüchtende aus der Ukraine offenzuhalten. „Das Blut, das im Krieg vergossen wird, schreit zum Himmel“, erklärte die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die westfälische Präses Annette Kurschus (Bielefeld), die selbst bei der Kundgebung sprach. Zugleich rief sie dazu auf, nicht in eine Spirale des Hasses zu geraten: „Wir werden der kriegslüsternen Herrscherclique in Russland nicht das Geschenk machen, ihr Volk zu hassen.“

Russland hatte die Ukraine am Donnerstag vergangener Woche angegriffen. Seitdem flüchteten nach Angaben der Vereinten Nationen fast 368.000 Menschen aus dem Land. Die Zahl steige weiter an, teilte das Hilfswerk UNHCR am Sonntag in Genf mit.

Die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine erreichten auch Deutschland. In Berlin wurden bis Sonntag nach Angaben des zuständigen Landesamts rund 240 Kriegsflüchtlinge registriert. Die Deutsche Bahn teilte am Sonntag mit, dass Flüchtlinge mit ukrainischem Pass oder Personalausweis kostenlos alle Fernzüge aus Polen in Richtung Deutschland nutzen können.

In der Ukraine begannen Hilfsorganisationen mit der Verteilung von Hilfsgütern. Die Malteser versorgten Geflüchtete in der Stadt Iwano-Frankiwsk mit Zelten, Feldbetten, Decken und Lebensmitteln, wie die Organisation in Köln mitteilte. Die Johanniter verteilten in einer ersten Aktion in der von den russischen Streitkräften eingekesselten Stadt Poltawa nach eigenen Angaben 2.600 Hilfspakete. Die Caritas stockte ihre Nothilfemittel für die Ukraine um 500.000 Euro auf.