Juden und Muslime sprechen über gegenseitige Vorurteile

Frankfurt a.M. (epd). Juden und Muslime sind in Frankfurt am Main zusammengekommen, um über den Abbau gegenseitiger Vorurteile zu sprechen. In jüdischen Gemeinden wachse das Bewusstsein, dass Juden und Muslime in manchen Fragen in einem Boot säßen, sagte der interreligiöse Beauftragte des Landesverbands jüdischer Gemeinden in Hessen, Jehoschua Ahrens, am Montag auf einer Konferenz der Bildungsstätte Anne Frank. Allerdings gebe es auch Vorbehalte und Unsicherheit, in welche Richtung sich islamische Gemeinden angesichts wachsender Judenfeindschaft entwickelten.

Für einen Dialog stelle die zersplitterte Organisation der Muslime ein Problem dar, sagte der Darmstädter Rabbiner. Die jüdischen Gemeinden wüssten häufig nicht, mit wem sie sprechen sollten. Das islamische Leben in Deutschland sei von unten gewachsen, erklärte der Frankfurter Islamwissenschaftler Bekim Agai. Jüdische Gemeinden sollten zunächst das Gespräch vor Ort mit einzelnen Moscheegemeinden suchen. Inzwischen sähen auch Muslime, dass sie mit Juden Interessen teilten, wenn es etwa um Konflikte mit der Mehrheitsgesellschaft wegen religiöser Riten oder der Sichtbarkeit des religiösen Bekenntnisses gehe.

Agai wies darauf hin, dass Menschen, die sich diskriminiert fühlten, Gefahr liefen, selbst andere zu diskriminieren. Dagegen helfe es, wenn Lehrkräfte die Struktur von "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" aufdeckten, sagte Agai. Durch mehr Bildung und Begegnungen könnten Vorurteile unter Schülern abgebaut werden, stimmte Ahrens zu. Er schlug vor, dass Religionslehrer Rabbiner und Imame zusammen in die Schule einladen, Schüler eine Synagoge und eine Moschee besuchen oder Studenten sich an religiösen Feiertagen gegenseitig einladen. 

An der Schule meinten Lehrkräfte von multiethnischen Klassen häufig, sie müssten erst über antimuslimischen Rassismus sprechen, bevor sie den Antisemitismus gegen Juden thematisieren dürften, sagte die pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank, Saba-Nur Cheema. Das eine dürfe aber nicht gegen das andere aufgerechnet werden. Antisemitismus müsse gestoppt werden. Die islamistische Konstruktion einer weltumspannenden Gemeinschaft aller Muslime (Umma) sei das Gleiche wie die völkische Ideologie von Rechtsextremisten. Sie führe dazu, dass selbst afghanischstämmige Schüler behaupteten, hinter den Taliban steckten die Juden. "Denn der Feind ist der Jude."

Die Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor erläuterte, dass die Studie "Extreme Out" in Dinslaken und Duisburg unter Schülern ein bedeutendes Maß an antisemitischen Vorurteilen aufgedeckt habe, das bei muslimischen Schülern noch höher war als bei anderen. Ein Drittel der Zwölftklässler eines Gymnasiums habe nichts über die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten gewusst, auch hier sei der Anteil der Muslime höher gewesen. Diese rechtfertigten ihre antisemitischen Einstellungen dadurch, dass sie sich selbst als Opfer von Islamfeindlichkeit bezeichneten.

Persönliche Beziehungen und Freundschaften führten zu einer Abnahme von Islamfeindlichkeit, fand Kaddor in einer Studie zu diesem Thema unter Schülern heraus. Die Mitgliedschaft in einer religiös gemischten Schulklasse allein reiche nicht aus. Lehrkräfte müssten mehr Wissen über den Islam vermitteln und viel stärker Gespräche zwischen den unterschiedlichen Schülern moderieren, sagte Kaddor. Die Konferenz wurde gemeinsam von der Bildungsstätte Anne Frank und dem Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt ausgerichtet.