Hilfsorganisationen besorgt über Lage in Kriegsgebieten Syriens

Köln/Idlib (epd). Die Lage der Menschen in den vom syrischen Bürgerkrieg betroffenen Regionen Idlib und West-Aleppo wird immer dramatischer. "Die Zivilisten, die vor den Kämpfen und Luftbombardements im Süden fliehen, haben keinerlei Rückzugsmöglichkeit, denn die Grenze zur Türkei ist hermetisch verschlossen", erklärte die Leiterin des Regionalbereichs Nahost bei Malteser International, Janine Lietmeyer, am Freitag in Köln. Die militärische Offensive der syrischen Regierung habe zur Vertreibung von mehr als 900.000 Menschen geführt. Die syrische Flüchtlingshelferin Mirna Abboud forderte eine Abmilderung der Syrien-Sanktionen durch die Europäische Union und die USA.

Innerhalb der letzten Wochen hätten die Malteser zwei ihrer Krankenhäuser und zwei Gesundheitsstationen evakuieren müssen, die in unmittelbarer Nähe der Frontlinien lagen, erklärten die Malteser. Die Hilfsorganisation betreibt gemeinsam mit zwei syrischen Partnerorganisationen ein Netzwerk von Krankenhäusern und Gesundheitsstationen in den letzten von Oppositionskräften und Islamisten kontrollierten Gebieten Syriens. 

Das Leid der Menschen verschlimmert sich laut der Hilfsorganisation zusehends. Die ohnehin extrem schlechte Versorgungslage wirke sich schon jetzt vor allem negativ auf Kinder, chronisch Kranke und alte Menschen aus. "Ganz klar gesprochen: Diese Menschen werden erfrieren und verhungern, wenn die Konfliktparteien und die Weltgemeinschaft dem nicht Einhalt gebieten", mahnte Lietmeyer.

Die syrische Flüchtlingshelferin Mirna Abboud kritisierte, dass sich die Syrien-Sanktionen durch die Europäische Union und die USA auch auf die Zivilbevölkerung auswirkten. "Wir beobachten etwa einen erschwerten Zugang zu Geld, Kaufkraftverlust, Einschränkungen der Wirtschaft und des Angebots wichtiger Güter des täglichen Bedarfs", sagte die Projektkoordinatorin bei der Bonner Hilfsorganisation Help dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Trotz vieler Rückschläge sei die Hoffnung auf Frieden auch zu Beginn des zehnten Kriegsjahres noch nicht gestorben, sagte Abboud. Die Situation in vielen Gebieten Syriens sei jedoch sehr instabil, weil sich kaum Voraussagen über den unübersichtlichen und gewalttätigen Krieg treffen ließen. Die Gebiete im Norden des Landes hätten sich etwa nach der Vertreibung der Terrormiliz IS recht stabil entwickelt. Durch die türkischen Angriffe im vergangenen Oktober sei die vorübergehende Beständigkeit allerdings erneut zunichtegemacht worden. Aktuell toben erbitterte Kämpfe zwischen Rebellen-Gruppen und Regierungstruppen vor allem in Idlib im Nordwesten des Landes. 

Wegen der Unwägbarkeiten würden allerdings kaum nachhaltige Hilfsprogramme entwickelt, erklärte Abboud. "Der Schwerpunkt der Programme liegt auf der Nothilfe", sagte sie. Neben solchen schnellen Hilfen seien aber auch langfristigere Projekte notwendig. "Die Menschen in Syrien haben durch den Krieg einen großen Teil ihrer Identität und ihrer Würde verloren", sagte die Projektkoordinatorin. 

Der Beginn des Syrienkonflikts jährt sich in diesen Tagen zum neunten Mal. Am 15. März 2011 demonstrierten in den Metropolen Damaskus und Aleppo aufgebrachte Menschen gegen die Politik des autokratischen und korrupten Regimes von Machthaber Baschar al-Assad. Bereits vorher hatte es Proteste in der südlichen Stadt Daraa gegeben.

Die Demonstrationen weiteten sich aus, die Absetzung des Assad-Regimes wurde verlangt. Assad reagierte mit grausamer Härte. Die Streitkräfte schossen mit Panzern, Artillerie und Kampfjets auf Zivilisten, setzten Giftgas ein und hungerten ganze Städte aus. Der Konflikt artete in ein unübersichtliches Gemetzel aus. Zeitweise kämpften mehr als 100 verschiedene Rebellenmilizen und Terrorgruppen sowie die Assad-Truppen und ihre Verbündeten.

Als Assad nach vier Jahren Konflikt immer stärker unter Druck geriet, engagierte sich der engste politische Verbündete Russland ab September 2015 auch militärisch für den Diktator. Das direkte Eingreifen der russischen Truppen markierte einen Wendepunkt: Vor allem mit Hilfe der Luftwaffe konnte Assad nach und nach die meisten verlorenen Gebiete zurückerobern.

Als Assad-Unterstützer taten sich ebenso iranische Kräfte und Milizionäre aus arabischen Ländern wie dem Libanon hervor. Derweil marschierten Truppen des nördlichen Nachbarlandes Türkei in Syrien ein, um die Kurden zu bekämpfen. Die USA und andere westliche Länder entsendeten Spezialkräfte, um die inzwischen stark geschwächte Terrorgruppe "Islamischer Staat" zu zerschlagen.

Die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete werden noch immer zu Teilen von Extremisten kontrolliert. Seit April 2019 versuchen Assads Militär und Russlands Luftwaffe, das Gebiet zurückzuerobern. Dabei schießen sie gezielt auf Krankenhäuser, Schulen und andere Einrichtungen und töten Zivilisten. Nach UN-Schätzungen flüchteten seit Anfang Dezember 2019 rund 900.000 Menschen vor der Gewalt in der Region. 

Alle Versuche der Vereinten Nationen scheiterten, den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen. Zuletzt wurde im Oktober 2019 ein Verfassungskomitee für Syrien eingesetzt. Das Gremium besteht aus Mitgliedern der Assad-Regierung, Oppositionellen und Vertretern die Zivilgesellschaft. Bislang hat der Ausschuss keine Impulse für eine friedliche Lösung des Konflikts gegeben. 

In den neun Jahren seit Ausbruch der Gewalt wurden Hunderttausende Menschen getötet, mehr als zwölf Millionen Kinder, Frauen und Männer sind innerhalb und außerhalb Syriens auf der Flucht. Gut elf Millionen Menschen brauchen in dem arabischen Land humanitäre Hilfe, um zu überleben.