Hilfsorganisation: Kindersterblichkeit in Gaza "steigt steil an"

Sechs Monate nach Beginn des Gaza-Krieges ist die Lage der Menschen in dem Gebiet verheerend. Hilfsorganisationen sehen bleibende Schäden bei den Jüngsten und fordern ein sofortiges Ende der Gewalt.

Bonn (epd). Sechs Monate nach Beginn des Gaza-Krieges haben Hilfsorganisationen einen besseren Zugang zu den Menschen und ein Ende der Gewalt gefordert. 62 Prozent aller Häuser in dem Gebiet seien zerstört, mehr als 75 Prozent der Bevölkerung auf der Flucht, erklärte das UN-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) am Freitag. World Vision und Care verwiesen auf die verheerende Lage für die Kinder im Gaza-Streifen. Helfer vor Ort fürchten nach dem israelischen Luftangriff auf einen Hilfskonvoi vor wenigen Tagen um ihre Sicherheit.

Der Krieg im Gaza-Streifen begann nach einem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober in Israel, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und über 250 weitere verschleppt wurden, von denen mehr als 100 noch immer in Geiselhaft sind. Als Reaktion überzog Israel den Gaza-Streifen mit einem massiven Bombardement, drang mit Bodentruppen in das Gebiet ein und verhängte eine komplette Blockade. Nach UN-Angaben wurden seither mehr als 33.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet, die meisten von ihnen Frauen und Kinder.

Auch der Hunger, unter dem die Bevölkerung leidet, trifft die Kinder laut Hilfsorganisationen besonders hart. Aktuell steige „die Kindersterblichkeit durch Unterernährung in Gaza steil an“, erklärte World Vision. Zudem erlitten mehr als eine Million Jungen und Mädchen „lebenslange Folgen für ihre geistige und körperliche Gesundheit“, wenn kein sofortiges Ende der Feindseligkeiten erreicht werde.

Kleinkinder sind laut der Hilfsorganisation Care wie Schwangere und ältere Menschen zudem von Krankheiten bedroht, die sich immer mehr ausbreiten. Daten der Partnerorganisation Juzoor zeigten, dass übertragbare Krankheiten wie Atemwegsinfektionen und Durchfallerkrankungen rapide zunähmen, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren. Hinzu kämen Fälle von Krätze, Hautausschlägen und Hepatitis A.

Gefährdet wird die Hilfe in dem Gebiet von der angespannten Sicherheitslage. Nachdem bei einem israelischen Luftangriff Anfang der Woche sieben Mitarbeitende der Hilfsorganisation World Central Kitchen getötet wurden, fürchten Helfer vor Ort weitere Attacken. „Das könnte jedem von uns passieren“, sagte der Einsatzleiter der Berliner Hilfsorganisation Cadus, Hareen de Silva, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Noch sei Cadus in der Lage, weiterzumachen, sagte der Londoner Allgemeinmediziner. Aber werde einer ihrer Mitarbeitenden getötet, würde die Organisation ihre Aktivitäten pausieren und überlegen, diese ganz einzustellen.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sagte, die Menschenrechtsverbrechen, die Zerstörung und das Leid der Bevölkerung im Gaza-Streifen seien beispiellos. Das Risiko weiterer Gräueltaten durch beide Seiten sei hoch. Das Blutbad und die mutwillige Verwüstung müssten aufhören.

Aufgrund des wachsenden Drucks aus dem Ausland hat Israel angekündigt, mehr Hilfe in den Gaza-Streifen zu lassen. Die Bundesregierung begrüße die Zusage und auch die Ankündigung, den israelischen Hafen Aschdod sowie den Grenzübergang Erez zu öffnen, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Es sei entscheidend, dass mindestens 500 Lkw-Ladungen mit Hilfslieferungen Zugang bekämen. Diese seien nötig, um eine minimale Versorgung sicherstellen zu können.

Derweil sorgt sich der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium, Niels Annen (SPD), aufgrund der Solidarität Deutschlands mit Israel um das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt. „Wir haben viel Soft Power in der arabischen Welt verloren“, sagte er dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Zurzeit registriere man „vor allem bei unseren zivilgesellschaftlichen Partnern in der Region eine große Enttäuschung über unsere als einseitig wahrgenommene Position“.