Friedensforscher: Ostermarschbewegung ist "ziemliches Gemisch"

Frankfurt a.M. (epd). Nach Worten des Frankfurter Friedensforschers Bruno Schoch ist die Ostermarschbewegung ein „ziemliches Gemisch“. Die Vorstellung, es gebe die eine Friedensbewegung oder den einen Ostermarsch, sei immer schon falsch gewesen, sagte Schoch in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Teilnehmenden seien Kommunisten und Pazifisten, frühere Gegner der ständig absurder sich drehenden nuklearen Hochrüstung, Engagierte gegen den russischen Angriffskrieg, junge Menschen sowie „Unbelehrbare“ aus der alten Friedensbewegung, wozu auch ein Teil der Kirche gehöre.

Er habe als langjähriger Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) niemals an einem Ostermarsch teilgenommen, setzte der 76-jährige Historiker und Philosoph hinzu. Friedensforschung und Friedensbewegung seien zweierlei. Und: „Ich würde mir mehr Solidarität wünschen mit den Überfallenen, mit den Opfern, mit der Ukraine. Dann würde ich mir überlegen, auch mitzulaufen.“

Das verbindende Element der Ostermarschierer sei ein Anti-Amerikanismus und eine Anti-Nato-Haltung, hob Schoch hervor. Er kenne viele Linke, für die es nur einen zentralen Akteur des gesamten Weltgeschehens gebe und die diesen für alles verantwortlich machten, „und das sind die USA“. Mit der Nato sei das komplizierter. Es sei richtig, dass sich das westliche Verteidigungsbündnis nach Osten erweitert habe „und dass das für Russland immer ein Problem war“. Der Beitritt sei aber auf Drängen der mittel- und osteuropäischen Länder erfolgt, die Nato habe sich dazu eher zögerlich verhalten.

Das Argument, die Osterweiterung sei Ursache für den Überfall auf die Ukraine gewesen, überzeuge ihn nicht. Denn Wladimir Putin habe in dem Aufnahmeantrag Finnlands und Schwedens keinerlei Sicherheitsproblem für Russland sehen wollen. Die Ursachen für den Krieg lägen nicht in der Nato-Osterweiterung, sondern vielmehr innerhalb Russlands und seines zunehmend totalitären Systems, betonte Schoch.

Wenn sich das „Netzwerk Friedenskooperative“, das die Ostermärsche koordiniere, Friedensbewegung nenne, sei das eine reine Selbstetikettierung, sagte Schoch. „Ein Teil der Ostermarschbewegung verwaltet das, was sie immer war, deswegen wird sie immer weniger.“ Dass so wenige Menschen gegen den Ukrainekrieg auf die Straße gehen, habe damit zu tun, dass in der bundesdeutschen Gesellschaft „die Empathie mit den Opfern weniger ausgeprägt ist als das Bedürfnis nach einer moralisch sauberen Haltung“. Es gebe vielleicht auch deshalb weniger Proteste, weil der Mainstream für die Solidarität mit der Ukraine sei. „Es fehlt der Aspekt der Opposition.“

Der jüngste Vorstoß von Vertretern aus SPD und Gewerkschaften für einen Waffenstillstand krankt nach Ansicht von Schoch an der falschen Alternative „Verhandeln oder Krieg“. Es gebe regelmäßig Gespräche und auch Verhandlungen etwa über Getreideexporte oder über den Austausch von Gefangenen. Ein „Riesendefizit“ der westlichen Politik sei bisher gewesen, dass Länder wie Indien, Indonesien, Brasilien und Südafrika noch nicht dazu gebracht werden konnten, Russlands Aggressionskrieg, der gegen die UN-Weltordnung verstoße, eindeutig zu verurteilen. Vor diesem Hintergrund enthalte der Vorstoß vom Wochenende „ein richtiges Moment“.

Hintergrund: Ostermärsche

Die Ostermärsche der deutschen Friedensbewegung haben eine mehr als 60-jährige Tradition. Inspiriert wurden die ersten Aktionen von britischen Friedensaktivisten, die an Ostern 1958 einen dreitägigen Protestmarsch zum Atomwaffen-Forschungszentrum Aldermaston organisierten. An den Ostertagen im April 1960 demonstrierten dann am Truppenübungsplatz im niedersächsischen Bergen-Hohne mehr als tausend Pazifisten gegen Atomwaffen - der erste Ostermarsch für Frieden und Abrüstung in Deutschland.

Die Bewegung wuchs rasch: 1961 waren es bundesweit vier und 1964 bereits 20 Ostermärsche. Nach einer längeren Pause in den 1970er-Jahren erhielt die Ostermarschbewegung zu Beginn der 1980er-Jahre mit den Protesten gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen neuen Auftrieb. Damals kamen Hunderttausende zu den Kundgebungen. Danach wurden die Ostermärsche zwar kleiner, sie erlebten aber während der Kriege etwa im ehemaligen Jugoslawien und am Persischen Golf zwischenzeitlich stärkeren Zulauf und sind bis heute identitätsstiftend für die Friedensbewegung.

In den Jahren vor der Corona-Pandemie beteiligten sich regelmäßig mehrere tausend Menschen an den Osteraktionen, die von Mahnwachen, Demonstrationen und Blockadeaktionen über Fahrradtouren und Wanderungen bis zu Friedensgebeten und Friedensfesten reichen. Im Jahr 2020 waren die Kundgebungen pandemiebedingt nur online möglich. In 2021 gab es dann wieder rund hundert öffentliche Ostermarsch-Aktionen.

Thematischer Ausgangspunkt der ersten Ostermarschierer war die Forderung nach einer atomwaffenfreien Welt. Hauptthemen sind weiterhin Kriege und Konflikte sowie Waffenexporte, Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Risiken der Atomkraft.

Immer wieder wurden aber auch neue Themen aufgegriffen, zuletzt etwa die Klimaschutzbewegung. Die mehr als 100 Veranstaltungen in diesem Jahr stehen im Zeichen des anhaltenden Krieges in der Ukraine. Bei vielen Demonstrationen und Kundgebungen geht es um die Forderung nach einem Waffenstillstand und der Aufnahme von Friedensverhandlungen.