Friedensaktivist: Krieg als "letztes Mittel" wird wieder salonfähig

Wunstorf/Region Hannover (epd). Der Friedensaktivist Gerhard Biederbeck sieht in der Gesellschaft wachsende Bereitschaft, kriegerische Auseinandersetzungen unwidersprochen hinzunehmen oder sogar als „letztes Mittel“ politischer Konflikte zu billigen. „Die Hemmschwellen sinken, das Leitwort von einst, 'Nie wieder Krieg', scheint für immer weniger Menschen Gültigkeit zu besitzen“, sagte der 74-jährige Mitinitiator der für Sonnabend (10. Juni) in Wunstorf geplanten Proteste gegen das Nato-Manöver „Air Defender 23“ im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ihn erschrecke, wie pragmatisch etwa über Lieferungen immer offensiverer Waffensysteme an die Ukraine gesprochen werde.

„Die Situation scheint äußerst fragil“, betonte Biederbeck. Sobald Russland fürchten müsse, dass von Nato-Staaten gelieferte Waffen die Krim angreifen könnten, drohe eine Eskalation bis hin zur Unkontrollierbarkeit. „Gerade den Jüngeren in unserem Land, die weder den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen noch die reale Bedrohung des Kalten Krieges erlebt haben, fehlt womöglich die Vorstellungskraft, dass die Lage plötzlich todernst werden könnte“, sagte der pensionierte Deutsch- und Religionslehrer.

Er hingegen halte die Gefahr eines Dritten Weltkrieges für durchaus real. Auch deshalb rufe er gemeinsam mit der Friedensinitiative Neustadt/Wunstorf, dem Bremer Friedensforum, der Nordeutschen Friedenskonferenz sowie Initiativen aus Hannover und Osnabrück für Sonnabend ab „fünf vor zwölf“, also um 11.55 Uhr, zu einer Protestkundgebung vor dem Fliegerhorst Wunstorf auf. Wunstorf ist ein Hauptdrehkreuz der Übung „Air Defender 23“.

Biederbeck ist nach eigenen Angaben seit 1982 in der Friedensbewegung aktiv. Er sagte, das geplante Manöver sei in Umfang und Charakter klar Ausdruck einer „militärischen Vorwärtsstrategie“. Ein derart realitätsnahes Manöver habe in Deutschland bislang nicht stattgefunden. Nach Bundeswehrangaben ist „Air Defender 23“ die größte Verlegeübung von Luftstreitkräften seit Bestehen der Nato. Vom 12. bis 23. Juni trainieren bis zu 10.000 Übungsteilnehmer aus 25 Nationen mit 250 Luftfahrzeugen unter der Führung der Luftwaffe Luftoperationen im europäischen Luftraum.

Biederbeck betonte, die Initiatoren der geplanten Kundgebung in Wunstorf wollten mit ihrer Aktion das Augenmerk auf „diplomatisch und realpolitisch machbare Vorschläge zur Lösung des Ukraine-Konflikts“ lenken. So habe jüngst Indonesien Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukrainie unter politisch neutraler Führung angeregt, verbunden mit der Forderung, dass sich beide Parteien unverzüglich jeweils 15 Kilometer von der Frontlinie zurückziehen. „Wir brauchen dringend, sofort und ohne Vorbedingungen, einen solchen ersten Schritt zur Deeskalation“, unterstrich Biederbeck.