Frieden in weiter Ferne

Dubai/Kabul (epd). "Afghanistan wird unabhängig bleiben", versichert Präsident Aschraf Ghani. Doch die Zukunft des Landes am Hindukusch bleibt weiter unklar. Die Friedensgespräche mit den radikal-islamischen Taliban stocken. Inzwischen hat sich neben den USA auch Russland eingeschaltet, um zu vermitteln. Doch bislang ohne greifbares Ergebnis. Und die Gewalt dauert an.

Die Taliban "wollen die alleinige Macht", klagt Afghanistans Sicherheitsberater Hamdullah Mohib. Frieden sei überhaupt nicht das Ziel der Aufständischen. Die Taliban indes drohen, dass sie weiter kämpfen werden, falls ausländische Streitkräfte bis Mai nicht das Land verlassen haben. Sie hätten sich an das Abkommen mit den USA gehalten und ihre militärischen Operationen deutlich verringert. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums sieht dies anders: "Es gibt zu viel Gewalt in Afghanistan. Das ist das Entscheidende!"

Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Nato ihren Einsatz wie von den Taliban gefordert beendet. Die Ungewissheit überschattet auch die Entscheidung des Bundestags am Donnerstag, das Afghanistan-Mandat bis Ende Januar 2022 zu verlängern. Dass es für die bis zu 1.300 deutschen Soldatinnen und Soldaten vermutlich gefährlicher werden wird, räumt die Regierung bereits ein.

Die Taliban haben sich in den vergangenen Monaten mit strategischen Offensiven im Süden und Norden des Landes bedeutende Vorteile verschafft. Im Süden kontrollieren sie nun die Bezirke um die wichtige Provinzstadt Kandahar, die zweitgrößte Stadt des Landes. Im Norden haben sie die Außenposten um die Stadt Kundus besetzt. 

Wichtige Verbindungsstraßen in den Norden, etwa zwischen Baghlan und Kundus, sind zum Teil in ihrer Hand. Auf der Straße zwischen Baghlan und Balkh entfernten Spezialeinheiten der afghanischen Armee Checkpoints der Taliban, doch die Aufständischen sind schon wieder zurück.

Einer Erhebung zufolge beherrschen die Taliban inzwischen etwas mehr als die Hälfte des Landes. Gleichzeitig vergeht kein Tag, an dem nicht Attentate auf Beamte, Richterinnen und Richter, Politikerinnen und Politiker, Medienschaffende, Polizei- und Armeechefs verübt werden. Zwar streiten die Taliban offiziell die Urheberschaft dafür ab, doch es ist schwer, hier keine Strategie zu sehen.

Während die innerafghanischen Verhandlungen stocken, richtet sich das Augenmerk auf den Deal zwischen den Taliban und den USA. Das Abkommen, das die Regierung von Ex-Präsident Donald Trump Ende Februar 2020 geschlossen hat, sieht einen Abzug der noch verbliebenen 2.500 US-Soldaten bis Ende April vor. Vor einem Jahr hatten die USA noch 13.000 Soldaten in Afghanistan stationiert. Derzeit sucht die neue Regierung von Präsident Joe Biden eine Möglichkeit, innerhalb des Vertrags Handlungsspielraum zu schaffen. 

Doch die Trump-Regierung schuf bereits Tatsachen. Noch nach der Niederlage bei der US-Präsidentenwahl im November ordnete Trump den Abzug von weiteren 5.000 Soldatinnen und Soldaten an. Ob für Biden jetzt eine Verlängerung oder gar Ausweitung der fast 20-jährigen Militärmission wirklich noch eine Option ist, ist ungewiss. 

Hintergrund:

Die Bundeswehr ist seit 20 Jahren in Afghanistan im Einsatz. Am Donnerstag stand im Bundestag eine Mandatsverlängerung bis zum 31. Januar 2022 auf der Tagesordnung. Für deutsche Soldatinnen und Soldaten könnte es wieder gefährlich werden: Denn die radikal-islamischen Taliban fordern, dass ausländische Streitkräfte bis Mai das Land verlassen. Nachfolgend einige wichtige Aspekte zum langjährigen deutschen Engagement am Hindukusch.  

* ENTWICKLUNGSHILFE: Deutschland unterstützt Afghanistan insbesondere im Kampf gegen Armut, beim Aufbau von Wirtschaft, Strom- und Wasserversorgung, Schulen und Krankenhäusern, Straßen und Brücken. Ziel des deutschen Engagements ist auch eine gute Regierungsführung: ein Staat, der die Bevölkerung schützt und ihre Rechte achtet sowie Korruption und Drogenanbau bekämpft. Von 2009 bis 2020 hat die Bundesregierung etwa 4,5 Milliarden Euro in die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land investiert.   

* BUNDESWEHR: Der Einsatz deutscher Streitkräfte am Hindukusch begann als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Der UN-Sicherheitsrat machte zum Ende des Jahres per Resolution den Weg für eine Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan frei. Im Jahr 2003 übernahm das Militärbündnis Nato die Führung der Isaf-Eingreiftruppe. Zeitweise waren in diesem Rahmen rund 130.000 Uniformierte im Einsatz, unter ihnen gut 5.300 Männer und Frauen aus Deutschland. Der Militäreinsatz wurde Ende 2014 abgeschlossen. Aktuell ist die Bundeswehr mit bis zu 1.300 Soldatinnen und Soldaten Teil der Mission Resolute Support, bei der es um die Unterstützung und Beratung afghanischer Sicherheitskräfte geht.  

* POLIZEI: Im April 2002 übernahm Deutschland eine führende Rolle beim Aufbau der afghanischen Polizei. Zehntausende afghanische Polizisten wurden dabei aus- oder fortgebildet. Derzeit sind laut Bundesinnenministerium noch 25 deutsche Polizisten in Afghanistan im Einsatz.   

* TOTE: In den fast zwei Jahrzehnten haben 59 Bundeswehrsoldaten im Afghanistaneinsatz ihr Leben verloren. Von ihnen sind 35 gefallen, also bei Anschlägen, Angriffen oder während eines Gefechts getötet worden.    

* KUNDUS-AFFÄRE: Mehrere Gerichte beschäftigte ein Nato-Luftangriff auf zwei Tanklaster bei Kundus im September 2009, bei dem Dutzende Afghanen ums Leben kamen. Den Angriff hatte der deutsche Oberst Georg Klein angeordnet, weil er befürchtete, dass Taliban-Kämpfer die von ihnen entführten Lastfahrzeuge als rollende Bomben einsetzen könnten. Deutsche Gerichte urteilten, dass er nicht schuldhaft gegen das Völkerrecht verstoßen habe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach Deutschland zudem jüngst vom Vorwurf frei, den Luftangriff nicht ausreichend aufgeklärt zu haben.