Beratungsstelle: Radikalisierung von Geflüchteten sehen wir selten

Bochum (epd). Das Bochumer Beratungsnetzwerk "Grenzgänger" beobachtet nur selten eine Radikalisierung von Flüchtlingen. Der Verdacht auf Radikalisierung bestätige sich bei ihnen meistens nicht, sagte Alexander Gesing von der Beratungsstelle im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir beobachten hier viele Unsicherheiten im Umgang mit Geflüchteten, oft aufgrund fehlender Erfahrung mit anderen Kulturen", sagte Gesing, stellvertretender Projektleiter. 

Das Beratungsnetzwerk wurde 2012 als erste Beratungsstelle für Radikalisierung und Islamismus in Nordrhein-Westfalen gegründet wurde. Gesing leitet auch das Teilprojekt "Anschluss", das sich auf Migration und Flucht spezialisiert hat. Die Beratungsstelle gehört zu einem zivilgesellschaftlichen Verein und wird vom Bundesinnenministerium finanziert. Am Donnerstag wollte das Beratungsnetzwerk auf einem Fachtag über Islamismusprävention bei Flüchtlingen Strategien diskutieren und das bestehende Präventionsangebot vorstellen. 

"Wenn sich jemand an uns wendet, versuchen wir über viele Gespräche herauszufinden, ob die befürchtete Radikalisierung wirklich vorliegt", erklärte der Sozialwissenschaftler. Eine allgemeine Checkliste gebe es dafür nicht. Die Einschätzung sei immer vom individuellen Fall abhängig. "Anhaltspunkte sind beispielsweise, wenn jemand aggressiv missioniert, keine anderen Religionsauslegungen zulässt oder das gesamte Weltgeschehen so umdeutet, dass Muslime überall und immer die Opfer sind."

Dabei sprechen die insgesamt acht Teammitglieder der Beratungsstelle nur in wenigen Fällen selbst mit den Personen, um die es eigentlich geht. "Viele wollen nicht darüber reden, weil sie gar kein Problem sehen", sagt Gesing. Ein direktes Gespräch der Beratungsstelle berge zudem die Gefahr, dass die Person sich stigmatisiert fühlt und sich erst recht in die islamistische Szene zurückzieht.

Die Beratung und Deradikalisierung erfolge daher hauptsächlich über das Umfeld, erläutert Gesing. "Wir überlegen dann gemeinsam mit den Ratsuchenden, wo die Gründe für die Radikalisierung liegen und wie den Betroffenen geholfen werden kann." Oft würden sie sich in einer persönlichen Krise befinden. Eine veränderte Haltung im Umfeld der Person könne da viel bewirken. "Das ist wie bei einem Mobile. Wenn Sie den äußeren Kreis anstupsen, bewegt sich auch die Figur in der Mitte."

Menschen, die befürchten, dass sich ein Angehöriger oder Bekannter radikalisiere, rät Gesing dazu, sich frühzeitig bei einer Beratungsstelle zu melden, statt sich von der Person zu entfernen. "Soziale Isolation kann Menschen in die islamistische Szene treiben, wo sie mit offenen Armen empfangen werden." Deshalb glaubt Gesing, dass mehr gesellschaftliche Akzeptanz für den Islam in Deutschland helfen könnte, Radikalisierungsprozessen vorzubeugen. "Sätze wie 'der Islam gehört nicht zu Deutschland', sind ein gefundenes Fressen für Islamisten."